Historisches















Radierung von Ferdinand Schmutzer
Orchester der Wiener Philharmoniker




Seit 1842, dem Jahr der Gründung der Wiener Philharmoniker, hat unser Land nicht weniger als fünf extrem verschiedene Staatsformen erfahren und teilweise erlitten, dazu den Untergang eines 600 Jahre bestehenden Weltreichs und zwei Weltkriege. Es ist keineswegs selbstverständlich, daß eine Institution mehr als 170 Jahre an ihren grundlegenden Prinzipien festhält bzw. sie weiter aufrecht erhalten kann; vor einem derartigen historischen Hintergrund und angesichts einer immer rasanter sich verändernden Welt ist es noch erstaunlicher, daß im Vormärz durch den Komponisten und Dirigenten Otto Nicolai und die damaligen Orchestermitglieder des k. k. Hof-Operntheaters nächst dem Kärntnertor eine Idee realisiert wurde, die auch im 21. Jahrhundert ihre Lebensfähigkeit unter Beweis stellt.

Die Basis einer derartigen Erfolgsgeschichte kann nicht ein eindimensionales Phänomen bilden, sie muß auf mehrere Faktoren gestützt sein. Im Falle der Wiener Philharmoniker sind die wichtigsten Faktoren weithin bekannt: die Personalunion mit dem Orchester der Wiener Staatsoper und damit die permanente Konfrontation mit dem Musiktheater und mit der vox humana; die demokratische Selbstverwaltung und künstlerische Eigenverantwortlichkeit im unabhängigen, nicht subventionierten Verein Wiener Philharmoniker und das damit verbundene Qualitätsbewußtsein; die lokale Musiziertradition – in manchen Instrumentengruppen läßt sich das Lehrer-Schüler-Verhältnis lückenlos bis in das Jahr 1819 verfolgen, also in das Gründungsjahr des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde und somit in die Beethovenzeit; das Bemühen um die Erhaltung bzw. behutsame Modifizierung des vielzitierten „philharmonischen Klangstils“.

Ein weiterer Faktor ist zweifellos die in Summe äußerst vielschichtige intensive Befassung zahlreicher Mitglieder mit verschiedensten Teilgebieten der Musik: Komposition, Lehrtätigkeit, Musikgeschichte, Musiktheorie, Musiksoziologie etc. Einen für den „philharmonischen Klang“ wesentlichen Aspekt stellen die Bemühungen um die Erhaltung bzw. Weiterentwicklung der spezifischen Instrumente dar, welche das Orchester verwendet. Neben der Wiener Oboe und dem Wiener Horn, also den auch international bekanntesten Exponenten des „philharmonischen Klanges“, war und ist die Pauke Gegenstand permanenter Bemühungen, wobei am Beginn dieses Weges ein auch musikhistorisch relevanter Name steht: der aus Böhmen gebürtige Hans Schnellar (1865-1945).

Er wurde im Jahre 1894 von Hofkapellmeister Hans Richter (1843-1916), dem legendären Dirigenten der Bayreuther Uraufführung von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“, an die Wiener Hofoper engagiert, war bis 1932 als Pauker im Opernorchester und bei den Wiener Philharmonikern und unterrichtete von 1908 bis 1932 am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde bzw. an dessen Nachfolgeinstitut, der Akademie für Musik und darstellende Kunst. Schnellar arbeitete mit wissenschaftlicher Akribie an der technischen Weiterentwicklung seines Instruments: Er beschäftigte sich, unterstützt und ermutigt von Hofoperndirektor Gustav Mahler wie von Staatsoperndirektor Richard Strauss, mit technischen Verbesserungen und erwarb 1920 ein Patent auf die Erfindung einer Hebelpauke. Bei seinem Amtsantritt als Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker (1909) veranlaßte Gustav Mahler den Ankauf von zwei Paaren Schnellar-Pauken (und bemühte sich überdies, Schnellar zur Annahme eines Engagements in seinem nunmehrigen Orchester zu bewegen). Schnellars Handkurbelpauken bewährten sich ferner in so hohem Maß in den Werken von Richard Strauss, daß der Meister ihm sogar gestattete, die Paukenstimme in der „Sinfonia Domestica“ an einer Stelle abzuändern und das Instrument thematisch einzusetzen.

In der Reihe der Pauker der Wiener Philharmoniker, die 1842 mit Anton Hudler und Alois Blacho beginnt und aus bisher 21 Musikern besteht, nimmt Schnellar allein aufgrund der fruchtbaren Auseinandersetzung mit Mahler und Strauss eine herausragende Stellung ein. Jener Impetus, mit dem er sich der Weiterentwicklung seines Instruments widmete, lebte und lebt im Orchester fort: Richard Hochrainer (1904-1986) war nicht nur als Pädagoge tätig, sondern führte auch den Bau der Wiener Pauke ebenso weiter wie Wolfgang Schuster (* 1942), der von 1961 bis 2005 der Schlagwerkgruppe der Staatsoper bzw. der Wiener Philharmoniker angehörte. Mittlerweile liegt die Tradition des Instrumentenbaus in den Händen von Anton Mittermayr (* 1970), der seit 1996 Pauker des Staatsopernorchesters ist und seit 1999 dem Verein Philharmoniker angehört.

Durch die verschiedenen Generationen an philharmonischen Paukenbauern läßt sich ein Prinzip verfolgen: das Bemühen um die Beibehaltung des Klangideals bei gleichzeitiger technischer Weiterentwicklung des Instruments. Die Verfolgung dieses Ziels, auf Begeisterung und Feuer für die Musik gegründet, ist Garant für die weitere Lebensfähigkeit der im Vormärz geborenen „Philharmonischen Idee“, stellt sie doch den Versuch dar, der Maxime Otto Nicolais und der Gründungsväter gerecht zu werden: „… mit den besten Kräften, das Beste auf die beste Weise“.


Prof. Dr. Clemens Hellsberg
Historiker, ehemaliger Vorstand der Wiener Philharmoniker